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Gedankenspiele #9 - Wer weiß, wofür et jot es

Diese Gedankenspiele kommen nun schon einen Monat zu spät. In diesem Jahr ist es leicht den Rhythmus zu verlieren. Es war mir so gar nicht nach Spielen. Wenn Gedanken, dann meist Kreise oder Karusselle. Sie waren irgendwie nicht an der Zeit, die Gedankenspiele. Doch nun wage ich es…

 

„Wer weiß, wofür et jot es?!“ So oft habe ich diesen Satz schon gehört in meinem Leben. Und so oft ist er auch so wahr. Dass ein Schicksal uns ereilt, es erstmal nach etwas Schlechtem aussieht und dann eben doch für etwas gut war. Zumindest möglicherweise!

 

Dieses Jahr ist ein Musterbeispiel für die Aussage des rheinischen Sprichwortes!

 

Wo anfangen? Vielleicht am besten in Kölle, am Anfang des Jahres.

 

Meine Karnevalsband hatte sich schweren Herzens entschieden, genau an meinem 10-jährigen Jubiläum in dieser Band nicht mehr nach Köln zu fahren. Es wird einfach alles zu voll und zu anstrengend. Und dann hatte eben jene Band auch noch die absolut bescheuerte Idee, mitten im Karneval, am Samstag, in Berlin Kladow eine eigene kleine Karnevalsparty zu feiern. Wer bitte denkt sich denn sowas aus, dachte ich damals. Empörend! Dann lohnt es sich für mich ja weder vorher noch nachher wirklich nach Kölle zum Karneval zu fahren. Erst wollte ich boykottieren und nicht mitmachen. Dann entschied ich mich doch, nur Mittwoch bis Samstag nach Köln zu fahren. So hatte ich wenigstens den Donnerstag draußen und noch den Freitagabend in einer Kneipe. Der Donnerstag war wunderbar. Den Freitag verbrachte ich dann doch, schon verkleidet und auf dem Weg zum Feiern, weitest gehend bei anti-karnevalistischen Freunden aus meiner Jugend und wir verquatschten fast die ganze Nacht. Was für eine Karnevalstragödie!

 

Doch, wäre das alles nicht passiert, hätten wir fünf Tage in Köln in vollen, heißen, schlecht belüfteten Kneipen gespielt. Und wer weiß, vielleicht hätten wir uns dann alle miteinander gleich zu Beginn mit Corona infiziert.

 

Dann kam ja schon recht bald der Lockdown. Auch das ein riesiger Einschnitt und eine große Veränderung im gewöhnlichen Leben.

 

Aber was war das eine produktive Zeit!

 

Zugegeben, nicht sofort. Erstmal hat es mich völlig umgehauen. Diese neuen und unklaren Regelungen machten mich unsicher und es kamen viele Erinnerungen aus meiner Kinderkur zurück, in der ich als Neunjährige war. Dieses Eingesperrt sein im Namen der Gesundheit. Es war zum Teil unerträglich. Es kam in Wellen und drohte manchmal, mich in die Tiefe zu ziehen.

 

Aber es brachte mich dazu nach diesem damaligen Heim, dem „Schloss am Meer“ zu suchen. Darüber fand ich heraus, dass wir „Verschickungskinder“ waren. Und dass es eine große bundesweite Gemeinschaft der Verschickungskinder gibt. Dass Menschen, die betroffen waren, diese Geschichte wissenschaftlich aufarbeiten und auch Skandale über Medikamentenversuche aufdecken.

 

Das Wissen, dass ich nicht allein bin damit, war unglaublich hilfreich. Und ich hatte eine Plattform, auf der ich meine Erinnerungen teilen und ein bisschen Frieden damit finden konnte.

 

Hätte es den Lockdown nicht gegeben, hätte unsere Erde keine Pause von unserem „höher, weiter, schneller“ bekommen, wäre nicht so deutlich geworden, dass unsere Wirtschaft wankt, wenn wir alle mal nur das kaufen, was wir wirklich brauchen.

 

Hätte es den Lockdown nicht gegeben, wäre CAT (Civil Action and Transformation) nicht online gegangen und ich hätte nicht mit so vielen verschiedenen und bereichernden Menschen aus ganz Deutschland gemeinsam diese Zeit zusammen verbracht. Ich hätte mich nicht mit so vielen Themen, mit der nötigen Unterstützung auseinandersetzen können. Ohne Lockdown, CAT und die Erinnerungen an die Kur, wäre meine Idee, einen Verein zu gründen und mich für würdevollere Strukturen einzusetzen vielleicht nie entstanden.

 

Vor Kurzem musste eine meiner Klassen inklusive mir komplett in Quarantäne und getestet werden. Erstmal alles chaotisch, kompliziert und irgendwie auch nervig.

 

Doch dann, drei Stunden nach dem Anruf, dass mein Test negativ ist, kam ein Familienmitglied mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus.

 

Wäre ich nicht in Quarantäne gewesen und hätte ich mich nicht testen lassen müssen, hätte ich nicht nachhause fahren können, ohne eine Gefahr für meine anderen Familienmitglieder zu sein.

 

Wäre der Herzinfarkt nicht gewesen, wäre ich nicht heimgefahren, hätte ich nicht so eine intensive und lange Zeit mit meiner Mutter und Schwester haben können.

 

Zum Glück hätt noch immer alles jot jejange!

 

Es sind verrückte Zeiten. Keine Frage. Aber, wer weiß wofür et jot es?!

 

 

 

 

 

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